Peggy Elfmann ist Journalistin und dreifache Mutter. Durch die Demenzerkrankung ihrer Mutter wurde sie zudem zur pflegenden Angehörigen. Heute gibt sie Lesungen, hält Vorträge und betreibt den für den Grimme Online Award nominierten Blog „Alzheimer und wir“. In ihrem Buch „Meine Eltern werden alt“ beschreibt Peggy Elfmann, wie erwachsene Kinder und ihre Eltern mit dem Thema Älterwerden umgehen können. Im Interview mit der SoVD-Zeitung schildert sie ihre eigenen Erfahrungen und erklärt, wie es gelingen kann, dabei vielleicht noch einmal ganz neue Seiten aneinander zu entdecken.
Sie haben Ihre an Alzheimer erkrankte Mutter lange Jahre begleitet und gepflegt. Wie gut kamen Sie damit zurecht?
Zunächst einmal habe ich ganz viel durch den Austausch mit anderen Angehörigen gelernt. Je weiter die Krankheit voranschritt, desto mehr hat uns das aber als Familie insgesamt beschäftigt. Ich habe dann angefangen, darüber einen Blog zu schreiben. Dadurch ist mir klar geworden, wie sehr Menschen das Thema Pflege beschäftigt und wie im Stich gelassen sich viele damit fühlen.
In Ihrem Buch geben Sie viele Anregungen zu Veränderungen, die das Alter mit sich bringt. Gibt es etwas, das Sie rückblickend gern anders gemacht hätten?
Ich habe oft gedacht: „Hätten wir das doch mal früher besprochen!“ Und ich habe mich gefragt, warum mir die Auseinandersetzung an vielen Stellen so schwer gefallen ist. Dabei bin ich zu dem Schluss gekommen, dass wir die Themen Älterwerden und Pflege von uns schieben. Wir sagen dann: „Jaja, darüber sprechen wir später mal!“ Aber tatsächlich wäre ein frühzeitiger Austausch darüber in der Familie, denn da findet Pflege ja überwiegend statt, total wichtig. Mein Buch soll helfen, sich mit dem Älterwerden zu beschäftigen, um die eigenen Vorstellungen dann auch zu kommunizieren.
Vielen fällt es schwer, offen über Probleme oder Gefühle zu sprechen. Gilt das besonders für die ältere Generation?
Hinter diesem „Miteinander-Reden“ steckt sehr viel. Wer verschiedene Krankheiten hat, kann das eigene Befinden manchmal selbst schwer einschätzen. Dann kann diese Person natürlich auch anderen nicht sagen, was sie braucht oder was sie sich wünscht. Und letztlich schwingt beim Thema Pflege ja immer auch irgendwo ein Vorwurf mit: „Du kannst das nicht mehr so gut!“ Man wird auf einen Mangel hingewiesen, auf eine unangenehme Situation, auf die eigene Hilfsbedürftigkeit. Darüber zu sprechen ist schwer, und man fühlt sich leicht angegriffen.
Wie war das denn bei Ihnen und Ihrer Mutter?
Wir haben das Gespräch vor uns hergeschoben. Nach der Diagnose Demenz war meine Mama traurig und hat angefangen zu weinen. In so einem Moment über ihre Pflege zu sprechen, wirkte auf mich total unsensibel. Und ich habe insgeheim gehofft, dass es irgendwie so geht. Letztlich haben wir dann den richtigen Moment verpasst. Ich glaube zwar, dass ich das Notwendige im Sinne meiner Mama entschieden habe. Trotzdem hätte es mir geholfen, wenn wir vorher zum Beispiel über das Thema Pflegeheim gesprochen hätten. Das hätte mir eine große Last genommen.
Sind denn diese Fragen mit Ihrem Vater geklärt?
Ich habe versucht, mit meinem Papa nach allen Regeln einer guten Kommunikation zu besprechen, wie das wäre, falls er einmal Pflege bräuchte. Tja, und dann hat er nicht etwa gesagt: „Schön, dass du es ansprichst.“ Seine Reaktion war: „Was soll das denn, willst du mich abschieben?“
Obwohl er den Verlauf bei seiner Frau mitbekommen hat?
Ja. Aber er hat eben gesagt: „Ich kann das doch noch. Es geht doch noch!“ Ich habe ihm dann erklärt, dass ich dieses Gespräch bei Mama leider verpasst hätte und gerne wüsste, was ihm später einmal wichtig sei. Denn nur wenn ich das weiß, könnte ich ihn möglichst gut unterstützen.
Wie schafft man es denn, über das Thema Pflege konstruktiv miteinander zu sprechen?
Zum einen muss man dieses Gespräch, glaube ich, einfach öfter führen. Es wäre illusorisch, davon auszugehen, dass man einmal redet und dann ist alles klar. Man sollte also immer wieder den Austausch suchen.
Es kann zum anderen hilfreich sein, einen Tag der offenen Tür in einer Pflegeeinrichtung zu nutzen und sich das anzuschauen – im Idealfall gemeinsam. Das kann helfen, sich vorzustellen, wie etwa ein betreutes Wohnen aussieht.
Die Pflege durch Angehörige ist gesellschaftlich hoch angesehen. Kann man dieser Erwartung überhaupt gerecht werden?
Ich denke, dass das eigentlich gar nicht geht und auch gar nicht möglich ist. Gerade bei einer Krankheit wie Demenz, die nun mal immer weiter fortschreitet, egal, wie viel man macht und gibt. Es ist ja nie genug, weil man die Krankheit weder stoppen noch heilen kann. Ich dachte auch lange, es wäre zu Hause am Allerbesten für Mama, und hatte Schuldgefühle, als sie ins Pflegeheim zog. Aber eine Pflegesituation ist eben doch mehr, als einfach da zu sein und sich ein wenig zu kümmern.
Man braucht sehr viel Kraft, körperlich und emotional. Das ist alleine eigentlich nicht gut schaffbar – und doch wird es irgendwie gesellschaftlich erwartet. Es ist ein Irrglaube und schadet uns letztlich. Es hilft ja auch den pflegebedürftigen Personen nicht, wenn man sich aufopfert. Deshalb ist der Blick auf die eigene Gesundheit so wichtig.
In der konkreten Situation ist das wahrscheinlich nicht leicht.
Nein, für mich war es sehr schwer, dass meine Mama in ein Heim zieht. Und gleichzeitig war es wirklich gut, weil ich gesehen habe, dass sie dort die pflegerische Versorgung bekommt, die wir zu Hause nicht mehr leisten konnten.
Wo bräuchte die Pflege zu Hause aus Ihrer Sicht denn mehr Unterstützung?
Zum einen fehlt es an Betreuungsplätzen. Zum Beispiel besteht ab Pflegegrad 2 Anspruch auf Tagespflege. Dadurch sollen sich Berufstätigkeit, Familie und Pflege besser vereinbaren lassen. Nur leider gibt es viel zu wenige Angebote.
Zum anderen fände ich eine Lohnersatzleistung für pflegende Angehörige enorm wichtig. Bei der Elternzeit etwa gibt es längst klare Regelungen: Man kann eine Auszeit nehmen und bekommt einen Teil des Lohnes weiterbezahlt. Wird dagegen ein Angehöriger pflegebedürftig und man kann deshalb weniger oder auch gar nicht mehr arbeiten, gibt es nichts.
Bekommen Angehörige denn genug Unterstützung dabei, sich in ihre Rolle als Pflegende überhaupt reinzufinden?
Es ist leider ein ziemlicher Dschungel. Nicht jeder, der Bedarf hat, weiß, an wen er sich wenden muss, und bekommt diese Unterstützung dann auch. Gerade für ältere Menschen oder auch für berufstätige Angehörige ist das Bürokratische oft eine große Hürde. Für mich ist das auch ein gesellschaftliches Thema. Denn wir werden ja alle irgendwann alt. Es ist doch eine grundsätzliche Frage, wie wir mit Menschen umgehen, die Unterstützung benötigen: Wollen wir uns als Gesellschaft umeinander kümmern oder zählt nur noch Leistung?
Beim „Umeinander-Kümmern“ ist in der Pflege vor allem die Leistung der Angehörigen gefragt. Oder ist das zu polemisch?
Manchmal frage ich mich schon, was der Politik noch fehlt. Alle schlauen Analysen liegen ja vor. Wir wissen, wie es Menschen geht, die andere pflegen. Denen sichert man immer wieder Unterstützung zu. Dann erhöhen sich Zahlungen an einer Stelle geringfügig, während Kosten an anderer Stelle wiederum steigen. Auch beruflich Pflegende, die ihren Job eigentlich gerne machen, finden es immer schwieriger, unter den sich verschlechternden Bedingungen überhaupt noch zu arbeiten und menschlich zu pflegen
Jetzt sind wir ein wenig ins Negative gerutscht. Dabei soll Ihr Buch doch vor allem Mut machen, oder?
Ja, es ist schon schwierig, bei diesem Thema positiv zu bleiben. Pflegen ist einfach auch anstrengend. Trotzdem ist es mir wichtig, dem Ganzen auch etwas den Schrecken zu nehmen. Denn Pflege bietet immer auch die Chance, sich neu zu begegnen und Dinge voneinander zu erfahren. Wenn die Eltern älter werden und Hilfe benötigen, dann erlebt man sich noch einmal ganz nah. Das kann Probleme mit sich bringen. Aber das kann auch sehr schön sein.
Info
Das Buch „Meine Eltern werden alt“ von Peggy Elfmann ist erschienen bei Hanserblau, ISBN 978-3-446-28137-0, 20 Euro.