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Höhere Kosten belasten Versicherte

Die Beiträge für die gesetzliche Krankenversicherung werden auf 16,2 Prozent angehoben.

Übergabe einer Versichertenkarte
Zusammen mit den extremen Teuerungsraten und den eklatant gestiegenen Gas- und Strompreisen stellt die Beitragserhöhung in der GKV für viele Menschen eine nicht mehr zu stemmende Belastung dar. Foto: Jens Büttner / picture alliance / dpa

Den gesetzlichen Krankenkassen droht 2023 ein Milliardendefizit. Als Gründe gelten die alternde Gesellschaft, die geringere Zahl an Beitragszahler*innen, neue Technologien und die Pandemie-Kosten. Auch politische Versäumnisse stehen im Raum. Ein Finanzpaket der Bundesregierung soll das Minus ausgleichen. Der SoVD kritisiert besorgt, dass damit auf 57 Millionen Versicherte deutlich höhere Krankenkassenbeiträge zukommen – und das könnte erst der Anfang sein. 

Um rund 0,3 Prozentpunkte im Mittel sollen die Zusatzbeiträge im kommenden Jahr steigen. Derzeit liegt der durchschnittliche Zusatzbeitrag bei 1,3 Prozent. Ergänzt man zu den dann 1,6 Prozent den aktuellen allgemeinen Beitrag von 14,6 Prozent, erhöht sich die Summe auf 16,2 Prozent. So hoch waren die Krankenkassenbeiträge noch nie. Arbeitgeber*innen übernehmen dabei ab dem 1. Januar 2023 neben der Hälfte des allgemeinen Beitragssatzes zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) auch die Hälfte des kassenindividuellen Zusatzbeitrages. 

Maßnahmen zum Ausgleich des „historischen Defizits“


Die Bundesregierung habe die GKV-Finanzen in einer „sehr schwierigen Lage“ vorgefunden, erklärte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bei der Bekanntgabe der Finanzreform. Er sprach von einem historischen Defizit im nächsten Jahr. Die Zusatzbeiträge sollen dazu dienen, die GKV aus einem erwarteten Finanzloch von 25 Milliarden Euro zu holen. Mit 4,8 bis 5 Milliarden Euro soll die Erhöhung der Zusatzbeiträge einen Teil des Fehlbetrages decken. Um das Milliarden-Minus auszugleichen, sollen darüber hinaus weitere Maßnahmen greifen.

Laut dem Gesundheitsminister ist ein zusätzlicher Bundeszuschuss von zwei Milliarden Euro vorgesehen. Außerdem müssen die einzelnen Kassen nicht notwendige Finanzreserven in Höhe von insgesamt vier Milliarden Euro abschmelzen. Aus dem Gesundheitsfonds sind zusätzliche 2,4 Milliarden Euro eingeplant. 

Auch Arztpraxen und der Pharmabranche wird ein Solidaritätsbeitrag in Höhe von hochgerechnet einer Milliarde Euro abverlangt. So soll für die Praxen künftig die Extra-Honorierung für Neupatient*innen entfallen. Die Pharmaindustrie ist gehalten, die Herstellerrabatte für patentgeschützte Medikamente von sieben auf zwölf Prozent zu erhöhen. Lauterbach sprach dennoch von einer „sehr maßvollen Erhöhung, die noch zur Hälfte von den Arbeitgeber*innen getragen“ werde. Ziel sei es, die weitere Anhebung der Zusatzbeiträge für Versicherte und Unternehmen zu vermeiden und Kassenleistungen künftig ohne Abstriche anbieten zu können. 

SoVD: Bund beteiligt sich nicht genug an den Kosten


Das sieht der Sozialverband Deutschland (SoVD) ganz anders. Er betrachtet das Finanzpaket mit Skepsis und Ernüchterung. „Der Gesetzentwurf bleibt mit seinen Maßnahmen weit hinter den allseitigen Erwartungen zurück“, stellt SoVD-Präsident Adolf Bauer fest.

Insbesondere kritisiert der SoVD, dass der Bund sich am Schließen des Milliardendefizites lediglich mit zwei Milliarden Euro Bundeszuschuss und einem Darlehen beteiligen will. 

Finanzreserven wurden aus Beitragsrücklagen gebildet


Statt überfälliger, grundlegender und in die Zukunft gerichteter Reformen zur Finanzierung der GKV bediene man sich aus deren Finanzreserven. „Die Finanzreserven aber wurden aus Beitragsrücklagen der Beitragszahlenden gebildet, die jetzt zusätzlich zur Kasse gebeten werden, um das Defizit kurzfristig zu schließen“, sagt Bauer. 
Aus Sicht des SoVD wird das Problem damit lediglich erneut um ein Jahr verschoben, die Folgen sind schon heute absehbar. „Der Bund zieht sich hier aus seiner Verantwortung, und das kann nicht sein.“ Die solidarische Beteiligung der pharmazeutischen Unternehmen an der Schließung des GKV-Defizites hält der SoVD-Präsident grundsätzlich für angemessen. Bauer betont jedoch, dass anstelle von kurzfristigen Finanzspritzen auch hier grundlegende Maßnahmen zur finanziellen Entlastung und Stärkung der gesetzlichen Krankenversicherung notwendig seien. 

SoVD fordert seit Langem Bürgerversicherung für alle


„Zur Stärkung der Finanzierungsbasis der gesetzlichen Krankenversicherung muss als Sofortmaßnahme die private Krankenversicherung in einen umfassenden Solidarausgleich einbezogen werden. Darüber hinaus sind die Beitragsbemessungsgrenze und Versicherungspflichtgrenze in einem ersten Schritt zumindest auf das Niveau in der Rentenversicherung anzuheben“, so Bauer. Der SoVD fordert seit Langem, die gesetzlichen und privaten Krankenkassen in einer für alle geltenden Bürgerversicherung zusammenzulegen. 

Lauterbach sieht die Ursachen für das Minus, vor dem die GKV selbst wiederholt gewarnt hatte, vor allem in politischen Versäumnissen. Er schreibt diese seinem Vorgänger Jens Spahn (CDU) zu. Spahn habe teure Leistungsreformen auf den Weg gebracht, aber von strukturellen Reformen Abstand genommen. Unter anderem deshalb sei das Defizit in der Pandemie entstanden, so Lauterbach. Dabei lässt er unter den Tisch fallen, dass er selbst in der Großen Koalition vor allem das Terminservice- und Versorgungsgesetz mit verhandelt und gutgeheißen hatte. 

Weitere Belastungen drohen


Auch bei anderen stehen Lauterbachs Krankenkassenpläne in der Kritik. Ob das Finanzpaket langfristig ausreichen wird, um die Kosten zu decken, sei mehr als fraglich, sagt etwa der GKV-Spitzenverband, der – ebenso wie der SoVD – für die Versicherten weitere Zusatzbeiträge in den kommenden Jahren fürchtet. Und nicht anders sieht es bei den gesetzlichen Pflegekassen aus, die ebenfalls im Minus sind. 

Tragen müssen das einmal mehr die Versicherten: Mit der Erhöhung der Krankenkassenbeiträge steigen die Sozialbeiträge, die die Arbeitnehmenden abführen müssen, im Jahr 2023 auf insgesamt 40,45 Prozent. Erstmals seit 2012 wird damit wieder die Marke von über 40 Prozent überschritten. Zusammen mit den explodierenden Energiepreisen, der Gasumlage und den allgemeinen Teuerungsraten treibt diese Entwicklung immer mehr Menschen in die Armut.